Betriebsübergang, privilegierte Kündigung und § 3 AVRAG

Ein Betriebsübergang ist für Arbeitnehmer oft mit erheblichen Veränderungen verbunden. Wenn diese Veränderungen zu einer wesentlichen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen führen, haben Arbeitnehmer das Recht, das Arbeitsverhältnis privilegiert zu kündigen. Die rechtliche Grundlage dafür bietet § 3 Abs 5 des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes (AVRAG). Der folgende Beitrag beleuchtet die wesentlichen Aspekte dieses Kündigungsrechts und klärt die Auswirkungen auf den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers.

Privilegierte Kündigung bei Betriebsübergang

Gemäß § 3 Abs 5 AVRAG kann ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsbedingungen durch einen Betriebsübergang wesentlich verschlechtert werden, das Arbeitsverhältnis innerhalb eines Monats ab Kenntnis der Verschlechterung kündigen. Diese Kündigung ist als „privilegiert“ zu verstehen, da sie dem Arbeitnehmer Ansprüche einräumt, die einer Kündigung durch den Arbeitgeber ähnlich sind.

Dabei gilt jedoch: Diese Kündigung führt nicht dazu, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Kündigungsentschädigung oder weitere Entgeltzahlungen hat, wie sie bei einer arbeitgeberseitigen Kündigung zustehen würden. Der Entgeltanspruch endet mit dem letzten Tag des Arbeitsverhältnisses, das durch die Eigenkündigung des Arbeitnehmers beendet wird. Dies stellte der Oberste Gerichtshof (OGH) im Urteil vom 28.04.2015, 8 ObA 28/15y, klar.

OGH-Urteil zur Beendigung des Entgeltanspruchs

Ein wichtiges Urteil des OGH bekräftigte, dass der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers bei einer Kündigung nach § 3 Abs 5 AVRAG zum Zeitpunkt der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses endet. Diese Entscheidung basiert auf einem Fall, in dem eine Flugbegleiterin wegen eines bevorstehenden Betriebsübergangs, der ihre Arbeitsbedingungen verschlechtern würde, kündigte. Sie forderte anschließend eine Entschädigung für den Zeitraum, der der Arbeitgeberkündigungsfrist entsprochen hätte – der OGH lehnte dies ab.

Hintergrund des Falls: Betriebsübergang in der Luftfahrt

Die Klägerin war seit 1991 als Flugbegleiterin beschäftigt. Angesichts eines Betriebsübergangs kündigte sie am 28. Mai 2012, mit Wirkung zum 30. Juni 2012. Ihr Argument: Der Arbeitgeber hätte das Arbeitsverhältnis frühestens zum 30. September 2012 kündigen können. Sie verlangte daher eine „Kündigungsentschädigung“ für die Zeit vom 1. Juli bis zum 30. September 2012. Dieser Anspruch wurde jedoch nicht anerkannt, da die Kündigung durch die Arbeitnehmerin erfolgte und somit keine Entgeltfortzahlung über das tatsächliche Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus zusteht.

AVRAG und Betriebsübergangsrichtlinie

§ 3 Abs 5 AVRAG setzt Art. 4 Z 2 der Betriebsübergangs-Richtlinie (RL 2001/23/EG) um. Diese EU-Richtlinie legt fest, dass eine Kündigung, die aufgrund einer wesentlichen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen infolge eines Betriebsübergangs erfolgt, als vom Arbeitgeber ausgesprochen gilt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellte jedoch klar, dass die Richtlinie keine Verpflichtung enthält, den Arbeitnehmern einen Kündigungsentschädigungsanspruch zu gewähren. Die Rechtsfolgen dieser Kündigung sind somit nach den nationalen Rechtsvorschriften zu beurteilen.

Keine Kündigungsentschädigung bei privilegierter Arbeitnehmerkündigung

Entscheidend ist, dass § 3 Abs 5 AVRAG den Arbeitnehmer lediglich vor negativen Folgen des Betriebsübergangs schützt. Er erlaubt dem Arbeitnehmer eine privilegierte Kündigung, gewährt jedoch keine Entschädigungsansprüche. Der Entgeltanspruch endet mit dem Zeitpunkt, an dem das Arbeitsverhältnis tatsächlich endet. Dies bedeutet: Wenn der Arbeitnehmer von seinem Kündigungsrecht Gebrauch macht, erlischt der Entgeltanspruch ab dem Tag des Wirksamwerdens der Kündigung.

Gerichtliche Klärung des EuGH

In mehreren Urteilen, darunter die Rechtssache C-396/07 (Juuri), stellte der EuGH fest, dass die Betriebsübergangs-Richtlinie kein einheitliches Schutzniveau in Bezug auf Entschädigungen für Arbeitnehmer bei Betriebsübergängen schafft. Die wirtschaftlichen Folgen einer privilegierten Kündigung sind daher nach den nationalen Vorschriften zu beurteilen. Der EuGH betont, dass nationale Gerichte dafür sorgen müssen, dass Arbeitgeber die gleichen finanziellen Verpflichtungen wie bei einer Arbeitgeberkündigung erfüllen. Die Entscheidung über eine Entschädigung liegt jedoch in der Hand des nationalen Gesetzgebers.

Wichtige Aspekte bei der Anwendung von § 3 Abs 5 AVRAG

Arbeitnehmer, die eine Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen durch einen Betriebsübergang feststellen, sollten beachten:

  • Frist von einem Monat: Die Kündigung muss innerhalb eines Monats nach Kenntnis der Verschlechterung erfolgen.
  • Einhaltung der Kündigungsfristen: Die gesetzliche oder kollektivvertragliche Kündigungsfrist ist zu beachten. Eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist in der Regel nicht möglich.
  • Kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung: Der Entgeltanspruch endet zum Zeitpunkt der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, nicht zu einem späteren Zeitpunkt, der der Arbeitgeberkündigungsfrist entsprechen würde.

Kein Entgeltanspruch über das Kündigungsende hinaus

Zusammenfassend zeigt der Fall, dass ein Betriebsübergang den Arbeitnehmer zwar berechtigt, das Arbeitsverhältnis privilegiert zu kündigen, dies jedoch keine weitergehenden Entgeltansprüche bis zur fiktiven Beendigung durch eine Arbeitgeberkündigung begründet. § 3 Abs 5 AVRAG schützt den Arbeitnehmer vor den negativen Folgen eines Betriebsübergangs, bietet jedoch keine Grundlage für Entschädigungszahlungen. Der Entgeltanspruch endet daher zum Zeitpunkt der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Für Arbeitnehmer ist es wichtig, ihre Rechte bei einem Betriebsübergang zu kennen und die Möglichkeit einer privilegierten Kündigung zu prüfen. In jedem Fall ist es ratsam, sich rechtlich beraten zu lassen, um mögliche Ansprüche geltend zu machen und die Kündigung fristgerecht und rechtlich korrekt auszusprechen.

 

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